Die Maskierte von Venedig

Die Begegnung ist schon eine geraume Zeit her. Denn zugetragen hatte sie sich im Februar dieses Jahres in Venedig. Genauer am «Carnevale», dem venezianischen Karneval. Ich wollte schon lange einmal diese Kostüme und das Ambiente in Venedig erleben, wenn in der Lagunenstadt verschwenderisch verkleidete Menschen durch die engen Gassen flanieren und sich präsentieren. Aber eigentlich hatte ich keine Ahnung, was da auf uns, also meine Frau und mich, zukommen sollte. Ausser, dass meine Angetraute vor vielen Jahren schon mal am Karneval in Venedig war und wusste, welche (nicht kostümierten) Menschenmassen sich dort bewegen würden.

Wir nahmen am Donnerstag in Zürich den ersten Direktflug nach Venedig. Nach kurzer Bus- und Vaporettofahrt erreichten wir schon nach zehn Uhr unser Hotel unweit der Rialto-Brücke und waren bereits vor Mittag in den Gassen und an den Kanälen auf der Erspähung von Maskierten und Kostümierten. Wer schon einmal in Venedig war weiss, dass man in dieser Stadt kaum einmal alleine ist. Wer schon einmal während des Karnevals in Venedig war weiss noch besser, dass man sich zu der Zeit den eh schon knappen Platz mit tausenden Touristen teilen muss. Nichtsdestotrotz entdeckten wir fantastische Kostüme, welche wir, unter Einsatz der Ellbogen in «Paparazzi-Technik», auch einigermassen unbeschadet mit unseren Fotoapparaten festhalten konnten.

Irgendwann wurde es uns aber auf der Seite von Markusplatz und Rialtobrücke doch etwas zu viel und wir machten uns auf zur anderen Seite des «Canale Grande». Dort waren wesentlich weniger Touristen unterwegs, aber natürlich auch die Masken und Kostüme rarer. Kurz bevor wir die «Basilica di Santa Maria della Saluta» in Richtung Punt della Dogana erreichten stand es jedoch plötzlich vor mir. Ein Kostüm in Scharlach mit blumenförmigem Hut und einer weissen Maske, aus welcher mich zwei höchst ausdrucksvolle Augen anblickten. Wie in Venedig zur Karnevalszeit üblich, sagte dieses Augenpaar kein Wort, verharrte in absoluter Stille aber gab mir zu verstehen, die Gelegenheit zu exklusiven Fotoaufnahmen auf keinen Fall entgehen zu lassen. Zumindest interpretierte ich den intensiven Blick so. Die Posen der Maskierten verrieten, dass die Person dahinter keine Anfängerin war. Aufgrund der Bewegungen schloss ich einfach mal, dass sich hinter der «Maschera» eine Frau verbarg. Sie zelebrierte den Geist des Karnevals perfekt, setzte sich äusserst gekonnt in Szene, schien mit ihren Bewegungen auf der kleinen Brücke über den Seitenkanal eine Geschichte zu erzählen. Das perfekte Sujet für einen Fotografen auf der Jagd nach Bildern am Carnevale!

Noch heute gehört das Bild zu meinen Lieblingsaufnahmen. Und ich habe mich auch schon gefragt, wer oder was sich hinter der Maske verbarg. War es eine echte Venezianerin? Oder war sie, wie viele andere Touristen, für den Karneval aus dem Um- oder gar Ausland angereist? War sie überhaupt jemals dagewesen, oder hatte am Ende nur ich sie gesehen? Denn als meine Frau aus dem Schmuckgeschäft kam, in welchem sie sich einen Anhänger gekauft hatte, war die Maskierte nicht mehr da. Spurlos verschwunden, einfach vom Erdboden verschluckt! Mysteriös und geheimnisvoll, wie Venedig halt ist. Besonders während des «Carnevale», sagt man…

Bild: by myself